Ich sitze auf einem kleinen Tisch in einem Konferenzraum eines Hotels im niederländischen Nijmegen. Neben mir liegt aufgeklappt mein kleines Notizbuch mit ein paar kurzen stichpunktartigen Sätzen.
Vor mir versammelt, die komplette Mannschaft inklusive Staff der RSB Thuringia Bulls.
Es ist der Morgen nach dem verlorenen Champions Cup Endspiel. Ein finales Meeting, ein letzter persönlicher Augenblick, ein gewöhnlicher Saisonabschluss als Gruppe bevor wir uns in alle Himmelsrichtungen verabschieden. Doch an diesem Sonntagvormittag verliert sich jegliche Routine. Mehrere Male kommt meine Stimme ins Stocken und die Emotionen übermannen mich, denn ich weiß, das ist meine letzte Handlung als Trainer der Thuringia Bulls.
Damit endet auch vorläufig meine Trainerlaufbahn, die ich vor knapp 20 Jahren in meiner Heimatstadt Perleberg begann. Damals ging es nicht um Deutsche Meisterschaften oder Champions Cup Titel, sondern ich wollte einfach nur meine Leidenschaft für den Basketballsport mit anderen Menschen teilen. Ich hatte schon immer eine fast vermessene Vorstellung von meinem Lebensweg, möchte ich diesen doch ausschließlich mit Dingen füllen, die mir Freude bereiten. Dieser Abschnitt gab mir nicht nur die Gelegenheit eine große Zahl meiner Träume zu verwirklichen, vielmehr auch das Leben mit einer unvergleichbaren Intensität zu spüren.
Gleich vorne weg es ist kein Abschied aus dem Bullenstall, denn die Thuringia Bulls sind zu meiner Lebensaufgabe geworden. Ich übernehme die sportliche Leitung und werde weiterhin sehr eng an der Mannschaft angebunden sein. Zusätzlich bleibt nun viel mehr Zeit den steigenden Anforderungen im Marketing gerecht zu werden. Als ich 2016 diese Herausforderung annahm, habe ich mir 2 Ziele gesetzt. Auf der einen Seite wollte ich die ausgezeichneten Rahmenbedingungen im „Fit In“ für den Hochleistungssport komplett ausschöpfen und auf der anderen Seite eine innovative Spielidee entwickeln, die es erlauben, sowohl individuell als auch gemeinschaftlich Rollstuhlbasketball auf allerhöchstem Niveau zu spielen. Ich sehe diese Vorhaben mit meinen Fähigkeiten als abgeschlossen an.
Ich bin sehr stolz den Staffelstab an Andre (sc. Andre Bienek) zu übergeben. Ich kann mir menschlich und fachlich keinen besseren Trainer für unser Team vorstellen. Ich weiß, dass er dieses Amt mit unermüdlichen Fleiß, unbegrenzten Rollstuhlbasketball-Know-How und ganz viel Herzblut begleiten wird. Schon zu seiner aktiven Zeit hat er mir sehr geholfen, mein Amt auszuüben. Dieses Vertrauensverhältnis intensivierte sich in der vergangenen Spielzeit noch einmal, in der er einen entscheidenden Anteil an der großartigen Entwicklung der Mannschaft hatte. Zusammen möchten wir unsere Spielphilosophie auf das nächste Level heben.
Dieser Rollenwechsel wurde schon seit Jahren vorbereitet und ist eine große Chance für unseren Verein, können wir doch die wachsenden Aufgaben auf mehrere Schultern verteilen und haben so die Möglichkeit die Thuringia Bulls auf und außerhalb des Spielfeldes noch besser für die Zukunft auszurichten, sodass wir hoffentlich auch in den nächsten Jahrzehnten weitere inspirierende Geschichten erzählen können.
Ich möchte an dieser Stelle ein paar persönliche Dankesworte loswerden.
Zuallererst an meine Mannschaft mit allen Athletinnen und Athleten, die ich in den letzten 7 Jahren begleiten durfte. Es ist wahrscheinlich ein Novum im Spitzensport, dass Ihr einem Rollstuhlbasketball-Anfänger erlaubt habt, ein Team auf diese Art und Weise zu trainieren. Ich habe das nie als selbstverständlich angesehen. Ich weiß, dass ich ein unglaublich fordernder Trainer war, manchmal vielleicht zu fordernd. Dabei habt ihr immer die richtige Antwort gegeben. Ihr habt mich mit Eurer unbezahlbaren Wertschätzung für meine Arbeit mehr motiviert als umgekehrt. Es hat mir jeden Tag unglaublich viel Spaß bereitet Coach von Weltklassespielern*innen, aber vor allem Weltklassemenschen, zu sein. „Wir-Trainer“ streben immer nach unerreichbarer Perfektion. Ich kann Euch aus tiefstem Herzen versichern, dass Ihr für mich immer das perfekte Team gewesen seid.
Ein riesengroßes Dankeschön an das ganze Team hinter dem Team, das mir jeden Tag den Rücken freigehalten hat. Ihr schaut nie auf die Uhr, wenn es um dringende Bulls-Angelegenheiten geht. Das ist mit jeder Silbe außergewöhnlich.
Kein Spiel ohne Gegner. Das Besondere an unserer Sportart ist der faire und respektvolle Umgang miteinander auf dem Basketballfeld. Die Rollstuhlbasketball-Familie ist kein Mythos sondern echt. Die Vorstellung der letzten Ritter des Sports müssen wir uns weiter erhalten. Ein besonderer Dank an den RSV Lahn Dill. Der Wettkampf mit Euch hat das Allerbeste aus mir herausgeholt.
An alle Schiedsrichter*innen, die es mit mir an der Seitenlinie nicht immer einfach hatten.
Neben meiner im Übermaß verständnisvollen Familie und Freunden möchte ich besonders 3 Menschen danken.
Mein erster Gedanke richtet sich an meinen ehemaligen Klassenlehrer Dietrich Böwe. Er gab mir schon in sehr jungen Jahren die notwendige Orientierung und zeigte mir, das ehrliche Empathie der wahre Schlüssel ist, um Menschen nachhaltig zu begeistern.
Die Berliner Basketballlegende Frank Müller, der mir alles was ich über Basketball und Leistungssport weiß, beigebracht hat. Bis heute ist Frank mein erster Ansprechpartner in allen wichtigen Entscheidungsprozessen und viel bedeutender einer meiner besten Freunde.
Und natürlich an unseren Spiritus Rector Lutz (sc. Lutz Leßmann). Er hat immer an mich geglaubt und vor allem mir die notwendigen Freiheiten zugestanden, auch wenn es mit einer Type wie mir manchmal auch schwer ist. Aus meiner Sicht war das der wichtigste Faktor, um diese Ära der Thuringia Bulls zu prägen.
Einen dicken Kuss möchte ich an meine beiden Mädels schicken, die dieses Abenteuer in den letzten Jahren immer mitgelebt haben. Das war und ist für mich die größte Liebeserklärung.
Ich freue mich riesig auf das nächste Kapitel bei meinem Herzensverein, denn zusammen mit unseren einmaligen Fans haben wir noch einiges vor.
Wir sind ein Team!
Euer Micha